Alle Artikel in: Kolumne

Na logisch!

Daniel-Pascal Zorn ist Philosoph mit Schwerpunkt Argumentationstheorie und philosophischer Dialektik. Er schreibt einen Blog über reflexive Logik und ab jetzt jeden zweiten Freitag auf dem HOHE LUFT-Blog eine Kolumne über die Tücken der Argumentation, Denkfehler und logische Fallstricke. Hier kommt Folge 1! Philosophie als Kunst der Rechtfertigung Wir alle sind tagtäglich in Diskussionen mit anderen Menschen verstrickt. Wir diskutieren über das Essen, das Wetter oder das letzte Fußballspiel. Wir diskutieren über tagespolitische Ereignisse, wissenschaftliche Entdeckungen oder Gerüchte, die wir gehört haben. Und wenn es ernst wird – oder spät ist oder wir ein wenig über den Durst getrunken haben –, dann diskutieren wir die grundlegenden Fragen: religiöse Überzeugungen und philosophische Thesen oder Positionen, denen wir zustimmen oder die wir ablehnen.

HOHE LUFTpost – Die Schuldfrage

HOHE LUFTpost vom 02.10.2015: Die Schuldfrage Der Skandal um manipulierte Dieselmotoren bei Volkswagen kann einem schon wegen der bloßen Zahlen den Atem verschlagen: zig Millionen Autos sind betroffen, um zig Milliarden Euro ist der Börsenwert von VW abgestürzt. Aus philosophischer Sicht jedoch finde ich einen anderen Aspekt nicht weniger spannend: die Handhabung des Skandals. Soweit bisher absehbar, geht es dabei vor allem um Schuld und Verantwortung: Kunden, die sich betrogen fühlen, schließen sich für Sammelklagen zusammen. Der für die Abgastechnik zuständige Zulieferer Bosch zeigt auf VW. Dort sucht man die Manager und Ingenieure, die von den Manipulationen wussten. Strafen und Entschädigungen in vielfacher Milliardenhöhe werden bezahlt werden müssen, einige gutbezahlte VWler werden ihre Posten verlieren. Am Ende der Schuldkette stehen dann vielleicht eine Handvoll Leute. Ist dann die Schuldfrage geklärt? Und ist die Schuldfrage wirklich das, was es in dieser Situation vornehmlich zu klären gilt? Nein und nein. Das Denken in Begriffen von Schuld und Strafe erinnert mich an das Mittelalter, als man allgemein glaubte, durch schuldhaftes Verhalten sei irgendwie das Weltgefüge durcheinandergebracht und müsse …

Fehler machen schön

Kolumne »Schöne Gedanken« »Perfekte Schönheit«, das ist ein etablierter Begriff. Aber er ist auch verdächtig. Ist das, was wir schön finden, was uns anzieht, was wir lieben, wirklich perfekt? Ich bestreite das. Anziehend und liebenswert sind oft gerade die kleinen Fehler. Perfektionismus tötet lebendige Schönheit. »Perfektionismus ist die Stimme des Unterdrückers«, schreibt die amerikanische Schriftstellerin Anne Lamott, »der Feind der Menschen. Er hält uns für immer verkrampft und verrückt.« Sie meinte damit vor allem ihre Arbeit als Autorin – doch ich glaube, es gilt für jede Form von Kreativität und Ästhetik. Fehler machen schön! – Tobias Hürter

Die tiefe Schönheit der Natur

Kolumne »Schöne Gedanken« Physik und Schönheit – für viele Menschen ist das kein harmonisches Paar. Doch für die besten Physiker ist Schönheit eine wichtige Wegweiserin bei der Enträtselung der Natur. Albert Einstein wehrte einmal einen Vorschlag eines Fachkollegen mit »Oh, wie hässlich« ab. Der Nobelpreisträger Frank Wilczek hat nun ein Buch geschrieben, in dem er dem Zusammenhang von Schönheit und Naturgesetzen genauer nachgeht: »A Beautiful Question« ist sein Titel. Darin erzählt Wilczek, wie er und seine Kollegen sich von Idealen wie Einfachheit, Harmonie, Gleichmäßigkeit und Symmetrie leiten lassen, wenn sie ihre Theorien entwickeln. Warum funktioniert das? Weil die Natur in ihrem Wesen schön ist, vermutet Wilczek, und wir Menschen einen Sinn für diese Schönheit haben. Daher sind die Physiker auch überzeugt, noch lange nicht am Ende ihrer Suche nach den letzten Naturprinzipien angelangt zu sein. Ihre aktuellen Theorien sind ihnen noch nicht schön genug. – Tobias Hürter

HOHE LUFTpost – Prostitution

HOHE LUFTpost vom 21.08.2015: Prostitution Deutschland hat ein ziemlich freizügiges Prostitutionsgesetz. Seit Jahren wird über eine Novellierung diskutiert. Die große Koalition hat sich das 2013 ausdrücklich vorgenommen. Doch geschehen ist bisher nichts. Besonders von Frauenrechtlerinnen und -rechtlern kommt immer wieder die Forderung nach einem generellen Prostitutionsverbot. Verständlich angesichts der traurigen Wirklichkeit der Prostitution mit all ihrem Zwang und ihrer Ausbeutung. Doch solch ein Verbot ist auch fragwürdig. Das Sexualleben eines Menschen gehört zu seinem privatesten Bereich. Prinzipiell soll jeder ins Bett gehen dürfen mit wem er will und warum er will, solange dabei mündige Menschen einvernehmlich handeln. Wenn es für Geld ist, dann ist es ihre Sache. Nun gibt es den Einwand, dass es einen Menschen zum Objekt degradiert, wenn man ihm so etwas Intimes wie Sex abkauft. Doch diesen Einwand kann ich nicht gelten lassen. Schriftsteller verkaufen ihre intimen Gedanken. Therapeuten verdingen sich als Freund. Und so gut wie niemand will ihre Arbeit verboten sehen. Nein, ich kenne kein wirklich gutes prinzipielles Argument für ein Prostitutionsverbot. Aber ein praktisches: Die real existierende Prostitution ist in …

HOHE LUFTpost – Hitchbot

HOHE LUFTpost vom 14.08.2015: Hitchbot Die Aufregung war groß, als letztes Jahr die Giraffe Marius im Kopenhagener Zoo getötet wurde. Eine Welle der Empörung und der Mitgefühls mit dem Tier ging um die ganze Welt. Nun ist wieder etwas Ähnliches geschehen: Der autonome Roboter Hitchbot wurde auf seiner Tour durch die USA per Anhalter von Unbekannten misshandelt und geköpft. Ein Rettungsversuch kam zu spät, die kleine Maschine war nicht mehr reparabel. Wieder war das Internet voller Mitgefühl. Mitgefühl? Mit einem – ausgesprochen einfach konstruierten – Roboter? Im strengen Sinn geht das natürlich nicht. Wir wissen nicht, wie es ist, ein Roboter zu sein. Wir wissen aber auch nicht, wie es ist, eine Giraffe zu sein. Ganz strenggenommen wissen wir bei keinem anderen Menschen, wie es ist, sie oder er zu sein. Und dennoch reden wir sinnvollerweise von Mitgefühl. Offenbar hängt das weniger vom Mitgefühlten als vom Mitfühlenden ab. – Tobias Hürter

HOHE LUFTpost – Das Gebot der Kurzweiligkeit

HOHE LUFTpost vom 07.08.2015: Das Gebot der Kurzweiligkeit So gut wie jeder Mensch kennt die Situation: Man hängt in einem Gespräch fest. Der Gesprächspartner erzählt langatmig irgendetwas, das einen überhaupt nicht interessiert. Man fühlt sich zunehmend gelangweilt, sucht immer dringender nach einem Ausweg, wird innerlich immer ungeduldiger und ärgerlicher. Es ist ja auch wirklich eine ärgerliche Situation. Nur, auf was ist man da gerechtfertigterweise ärgerlich? Tut man dem Anderen Unrecht, wenn der Ärger sich gegen ihn richtet? Er tut doch nicht mehr, als etwas erzählen, scheinbar ohne böse Absicht. Dennoch bin ich überzeugt, dass es in vielen solchen Situationen OK ist, ärgerlich auf sein Gegenüber zu sein. Ein Gespräch ist eine soziale Situation. Darin hat jeder die Pflicht, das Wohlergehen der anderen zu berücksichtigen. Also auch, darauf zu achten, ob die eigene Rede zum Wohlbefinden der anderen beiträgt. Du sollst die anderen nicht langweilen – das ist eines der Gebote für gelungene Gespräche. Daraus schließe ich, dass es in solchen Lagen gerechtfertigt ist, auch mal den schnellen, abrupten Ausweg zu nehmen. Umgekehrt ist es aber …

HOHE LUFTpost – Das fliegende Spaghettimonster und die GEZ

HOHE LUFTpost vom 31.07.2015: Das fliegende Spaghettimonster und die GEZ Muss Gott Rundfunkgebühr bezahlen? Nein, wenn es nach dem Rundfunkstaatsvertrag geht. Darin steht, dass Betriebsstätten, die gottesdienstlichen Zwecken dienen, von der Gebühr befreit sind. Ein schlauer Münchner Unternehmer weihte daraufhin sein Büro mit Nudelwasser dem »Fliegenden Spaghettimonster«, einer aus den USA stammenden Gottesparodie, und wollte ebenfalls von der Rundfunkgebühr ausgenommen werden. Diese Woche wurde die Sache vor Gericht entschieden. Urteil: Die Anbetung des Spaghettimonsters enthebt nicht von der Rundfunkgebühr, im Gegensatz zum christlichen Gott. So ganz ernst meinte der Unternehmer seine Aktion nicht. Doch sie hat einen tiefernsten Hintergrund: Was kann als Religion gelten? Warum das Christentum und nicht der Glaube ans Fliegende Spaghettimonster – da doch die Geschichten, die gläubige Christen erzählen, manchen Außenstehende nicht weniger absurd scheinen? Das Gericht sprach etwas hilflos von einem »gesellschaftlichen Konsens«, der zum Christentum bestehe, nicht aber zum Spaghettimonster. Ich glaube jedoch, der Unterschied liegt tiefer. Das Spaghettimonster ist einfach ausgedacht, und zwar von einem humorvollen Amerikaner namens Bobby Henderson. Der christliche Gott ist nicht ausgedacht. Selbst wenn er …

HOHE LUFTpost – Über Moral lässt sich streiten

HOHE LUFTpost vom 24.07.2015: Über Moral lässt sich streiten Was halten Sie von Ehrenmorden? Richtig oder falsch? Wahrscheinlich falsch – hoffentlich! Aber wie begründen Sie es? Wie würden Sie versuchen, jemanden aus einer traditionell islamischen, von der Sharia-Gesetzgebung geprägten Gesellschaft davon zu überzeugen, dass Ehrenmorde nicht OK sind? Oder grundsätzlicher gefragt: Lässt sich über Moral sinnvoll diskutieren? Die Philosophen sind da geteilter Meinung. Empiristen wie David Hume waren überzeugt, dass die Moral ihrem Wesen nach subjektiv ist, dass also moralische Urteile letztlich auf einem Moralgefühl gründen, das man halt hat oder nicht. Immanuel Kant hingegen versuchte, die Moral mit raffinierten Argumenten in der Vernunft zu verankern – wobei ich bezweifle, ob sie die Ehrenmord-Frage befriedigend lösen würden. Der amerikanische Philosoph Alex Rosenberg betrachtete all dies kürzlich in einem Artikel auf der Website der New York Times und kam zu dem Schluss: Über Moral lässt sich nicht streiten. Ich muss Rosenberg widersprechen. Was wäre eine Moral wert, über die sich nicht streiten ließe? Ich bin überzeugt, dass es sinnvoll ist, mit Muslimen darüber zu streiten, ob ein Mord …

HOHE LUFTpost – Veganismus und das gute Gewissen

HOHE LUFTpost vom 17.07.2015: Veganismus und das gute Gewissen Essen Sie Fleisch? Eier? Tragen Sie Leder? Der Veganismus gewinnt derzeit merklich an Anhängern. Im Gegensatz zur Vegetarier-Bewegung von früher stehen dabei oft ethische Gründe im Vordergrund, nicht die Gesundheit. Wer Fleisch konsumiert, unterstützt Massenschlachtungen. Wer Eier isst, finanziert die industrielle Haltung von Hühnern. Kurz gesagt: Wer tierische Produkte kauft, vermehrt das Leid in der Welt. Und Leid ist schlecht. Folglich ist Veganismus gut. Einfach, oder? Nein, ganz so einfach ist es nicht. Denn nicht immer führt der Konsum tierischer Produkte zu vermehrtem Leid. Man kann sich Eier von wirklich glücklichen Hühnern in die Pfanne hauen. Man kann Milch von Kühen trinken, die auf saftigen Bergweiden leben. Oder Insekten essen, die nach der Auffassung von Biologen gar nicht in der Lage sind, Schmerzen zu empfinden. Ethischer Veganismus ist zunächst mal ein erfreuliches Phänomen. Doch so richtig überzeugt er mich nur, wenn er konsequent ist in seiner ethischen Ausrichtung – und wenn er Teil eines Lebensstils ist, der auch in anderen Bereichen so konsequent ist in seiner …