Alle Artikel in: Aktuell

Philosophie am Berg – Das Philosophicum Lech

Den meisten Skigebieten nimmt der Sommer ihren Sinn. Schneelos und einsam verfallen sie in eine regelrechte Starre. Nicht so Lech am Arlberg: Mit dem »Philosophicum« geht die Sinnsuche hier im Sommer erst richtig los. Zum neunzehnten Mal kamen dieses Jahr über 600 Freunde der Weisheit zusammen, um die Vorträgen rund um das Thema der Selbstoptimierung zu hören.

HOHE LUFTPOST – Ein neuer Einstein?

HOHELUFTpost vom 11.09.2015: Vor hundert Jahren geschah eine der größten wissenschaftlichen Revolutionen der Geschichte: Albert Einstein veröffentlichte seine allgemeine Relativitätstheorie und eröffnete uns damit die Erkenntnis, dass die allgegenwärtige Schwerkraft gar keine Kraft im üblichen Sinn ist, sondern ein Nebenprodukt des gekrümmten Raums. Einstein war der letzte Wissenschaftler, der solch einen gewaltigen Erkenntnisschritt im Alleingang vollbrachte. Wann kommt endlich ein neuer Einstein? Ich vermute: wohl gar nicht mehr. Solche wissenschaftlichen Einzelleistungen sind nicht mehr möglich. An Talenten würde es nicht Mangeln. Der amerikanische Theoretiker Edward Witten beispielsweise hat wohl nicht weniger mathematische Begabung als Albert Einstein – und er tüftelt seit Jahrzehnten an einer noch allgemeingültigeren Theorie. Aber nicht allein, sondern in Zusammenarbeit mit vielen anderen Forschern. Diese Unternehmung ist zu komplex für ein einzelnes Gehirn. Es gibt aber noch einen anderen Grund. In unserer Gesellschaft haben Wissenschaftler nicht mehr den Status, den sie zu Einsteins Zeiten hatten. Einstein war nicht nur ein grandioser Physiker, sondern auch ein eine gewichtige politische Stimme, eine moralische Autorität – und ein Popstar. Ob zu Recht oder nicht, so …

Gefühle? Gewissen!

Von Tobias Hürter Wenn den Berichten und Kommentaren glauben kann, dann ist Deutschland derzeit im emotionalen Ausnahmezustand. Deutschland sei ein »Hippiestaat, der sich nur von seinen Gefühlen leiten lässt«, sagt der englische Politologe Anthony Glees. »Wir erleben in Echtzeit, wie sich die Gefühle eines ganzen Landes synchronisieren«, schreibt der »Zeit«-Wissenschaftsredakteur Ulrich Schnabel. Gemeint sind natürlich die bewegenden Szenen, die sich am Münchner Hauptbahnhof und anderswo abspielen. Deutsche umarmen ankommende Flüchtlinge. Hilfsorganisationen werden überschwemmt von Spenden. Allerdings bezweifle ich, dass man diesen Berichten und Kommentaren wirklich glauben kann. Deutschland wird nicht von seinen Gefühlen geleitet. Sondern vom Gewissen. Das ist ein wesentlicher Unterschied – und gut so.

HOHE LUFTPOST – Kindersegen – oder Fluch?

HOHELUFTpost vom 04.09.2015: Deutschland erlebt einen kleinen Babyboom: Letztes Jahr kamen 715000 Kinder zur Welt, hat das Statistische Bundesamt jetzt bekanntgegeben. Das ist eine Steigerung von 4,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und so viel wie wie seit 2002 nicht mehr. Viele Menschen halten das für eine erfreuliche Nachricht, aber nicht alle. Es gibt Philosophen, die Kinderkriegen für grundsätzlich ethisch bedenklich halten. Zu ihnen gehört die Kanadierin Christine Overall, die vor ein paar Jahren ein Buch mit dem Titel »Why Have Children?: The Ethical Debate« geschrieben hat. Overall zerlegt ein Argument nach dem anderen dafür, Kinder zu kriegen. Zum Beispiel jenes, es sei »natürlich«, Kinder zu kriegen. Menschen tun alle möglichen Dinge, die man unnatürlich nennen kann: Autofahren und Kariesprophylaxe zum Beispiel. Natürlichkeit ist in dieser Frage kein hilfreicher Maßstab. Oder jenes Argument, man würde dem Kind etwas Gutes tun, indem man es kriegt, da man ihm all die schönen Erfahrungen beschert, die das Leben bereithält: Rad fahren, Eis essen, Sex haben (später mal). Aber zum Zeitpunkt der Entscheidung gibt es das Kind noch nicht, …

Der Mensch ist mehr als nur sein Hirn

Es ist einige Jahre her, dass Stephen Hawking den Tod der Philosophie verkündet hat. Angesichts der Fortschritte von Physik, Astronomie und Neurowissenschaften mag dies erst einmal einleuchtend klingen. Die großen Fragen sind heute nicht mehr nur an spekulative Antwortansätze gebunden. Und trotzdem ist die Philosophie nicht im Sterben begriffen. Warum? Eine mögliche Antwort besteht in der Fähigkeit des Menschen, nach moralischen Gesichtspunkten zu handeln. Den Menschen auf seine neurophysiologischen Mechanismen zu reduzieren, hieße in letzter Konsequenz, ihn von der Verantwortung für sein Handeln zu entbinden und ihn von moralischer Schuld freizusprechen. Darum ist die Philosophie gefordert, die Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse für den Menschen und die Welt, in der er lebt, herauszuarbeiten. Sie kann die Problematiken aufzeigen, die sich aus den Erkenntnissen der Wissenschaft ergeben. Die Welt muss nicht bedeutungslos und zufällig sein, wenn der Mensch sie als solche nicht erkennen will. Er kann ihr einen eigenen Sinn geben, wie er auch sich selbst einen anderen Sinn geben kann. Er kann sich dazu entscheiden, nicht nur Spielball seines Gehirns sein zu wollen. Der Mensch ist dann …

Was ist Flucht? Von der Realität und Aggression der Bilder

In diesen Tagen scheint es nur ein einziges Thema zu geben: Flucht. Es vergeht kein Tag, an dem uns die Medien nicht über die Schicksale unzähliger Unbekannter informieren, Menschen aus Syrien, Eriträa oder dem Kosovo, die zu Tausenden Zugang zum sicheren Europa suchen. Wir hören und lesen nicht nur, was derzeit passiert – wir sehen es auch. Welchen Stellenwert hat das, was wir da sehen? Müssen wir uns damit konfrontieren oder dürfen wir einfach wegschauen? Wie sollen wir mit der Bilderflut umgehen? Fotos von Flucht und Flüchtlingen sind zur Zeit allgegenwärtig. Man sieht Menschen auf Schlauchbooten, in Bahnhöfen und Zügen, in Auffanglagern, an Grenzzäunen. Die Fotos bewegen und rühren uns, sie machen uns betroffen. Aber sie tun noch mehr. Sie bannen uns. Sie üben auf eigentümliche Weise Gewalt auf uns aus. Nehmen wir das umstrittene Foto der toten Flüchtlinge, die kürzlich in einem abgestellten Laster in der Nähe von Wien gefunden wurden. Die Wiener „Kronen-Zeitung“ hatte das Foto veröffentlicht, und danach auch „Bild“. Das Foto zeigt einen Blick ins Innere des LKWs; auf der Ladefläche …

HOHE LUFTPOST – Wir Engel und Teufel

HOHELUFTpost vom 28.08.2015: Der Fund ist gruselig, und er gibt zu denken: Archäologen haben in der Nähe von Frankfurt am Main ein Massengrab freigelegt, in das unsere Ahnen vor 7000 Jahren ziemlich achtlos 26 Leichname geworfen hatten, darunter viele Kinder. Das ist auffällig, weil die Menschen damals ihre Toten meist mit Respekt und Sorgfalt bestatteten. Noch auffälliger ist der Zustand der Leichname. Sie zeigen deutliche Spuren brutaler Gewalt. Manchen wurde offenbar mit stumpfen Waffen der Schädel eingeschlagen. In manchen Knochen stecken noch Pfeilspitzen. Der Fund befeuert eine ohnehin schon hitzige Debatte: Ist der Mensch von Natur aus friedlich – oder gewaltsam? Der amerikanische Psychologe Stephen Pinker behauptet in seinem Buch »Gewalt« von 2011, dass die Menschheit im Lauf der Zivilisationsgeschichte immer friedlicher wurde und heute weniger gewaltsam denn je ist. Andere Gelehrte widersprachen Pinker heftig. Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkrieg werden über seine These allenfalls bitter lachen können. Doch der Frankfurter Fund scheint sie zu stützen. Was stimmt denn nun: Ist der Mensch wirklich ein geborener Brutalo, besänftigt durch die Zivilisation? Oder ein von Natur …

Eine verlässliche Ausgabe und ein unredlicher Angriff – Vittorio E. Klostermann über die Heidegger-Gesamtausgabe

Der Verleger der Heidegger-Gesamtausgabe Vittorio E. Klostermann antwortet auf ein HOHE LUFT-Interview mit Richard Wolin, das im März veröffentlicht wurde. Die Vorwürfe Wolins gegenüber der Arbeit des Verlages seien nicht haltbar und kompromittierend, so Klostermann.  Richard Wolin, der US-amerikanische Ideenhistoriker, erhebt in einem in Hohe Luft abgedruckten Interview (Heft 3-2015) schwere Vorwürfe: „Seit Jahrzehnten wissen wir, dass es Probleme mit der Gesamtausgabe und der Publikationsgeschichte von Heideggers Werk gibt. Das ist ein Skandal. Eben gab es einen Artikel in der Zeit „Was heisst ‚N. Soz.?‚“ von Adam Soboczynski, der die Verbreitung und Ausmaß dieser Probleme bestätigt. Es gibt viele kompromittierende Passagen aus seinen Vorlesungen, die man einfach weggelassen hat. Und diese Probleme gibt es noch immer. Zum Beispiel ist der wichtige Briefwechsel mit seinem Bruder Fritz für die Forscher gesperrt. Und das Problem wird immer schlimmer, solange der Heidegger-Nachlass nicht völlig für die Forschung freigegeben ist.“

Was nützt die Nutzenfrage?

Prognosen über den Arbeitskräftemangel in Deutschland, verursacht durch den demografischen Wandel, begegnen einem gerade in den Beiträgen zur Flüchtlingsdebatte. Werden nicht in den nächsten Jahren tausende Arbeitskräfte aus dem Ausland hinzugezogen, haben wir hier höchstwahrscheinlich ein großes Problem, sagen die Zahlen. Sie werden von den Verfassern verwendet, um auf den volkswirtschaftlichen Nutzen hinzuweisen, den Deutschland aus denen ziehen kann, die hier Zuflucht suchen vor Krieg, Verfolgung, Hunger und Tod. Aber kann die Frage, welchen Nutzen Flüchtlinge bringen, dafür relevant sein, ob sie Hilfe verdienen?

HOHE LUFTpost – Das Gebot der Kurzweiligkeit

HOHE LUFTpost vom 07.08.2015: Das Gebot der Kurzweiligkeit So gut wie jeder Mensch kennt die Situation: Man hängt in einem Gespräch fest. Der Gesprächspartner erzählt langatmig irgendetwas, das einen überhaupt nicht interessiert. Man fühlt sich zunehmend gelangweilt, sucht immer dringender nach einem Ausweg, wird innerlich immer ungeduldiger und ärgerlicher. Es ist ja auch wirklich eine ärgerliche Situation. Nur, auf was ist man da gerechtfertigterweise ärgerlich? Tut man dem Anderen Unrecht, wenn der Ärger sich gegen ihn richtet? Er tut doch nicht mehr, als etwas erzählen, scheinbar ohne böse Absicht. Dennoch bin ich überzeugt, dass es in vielen solchen Situationen OK ist, ärgerlich auf sein Gegenüber zu sein. Ein Gespräch ist eine soziale Situation. Darin hat jeder die Pflicht, das Wohlergehen der anderen zu berücksichtigen. Also auch, darauf zu achten, ob die eigene Rede zum Wohlbefinden der anderen beiträgt. Du sollst die anderen nicht langweilen – das ist eines der Gebote für gelungene Gespräche. Daraus schließe ich, dass es in solchen Lagen gerechtfertigt ist, auch mal den schnellen, abrupten Ausweg zu nehmen. Umgekehrt ist es aber …