Alle Artikel in: Aktuell

HOHE LUFTpost – Freundschaft und die unbequemen Dinge

HOHE LUFTpost vom 19.02.2016: Freundschaft und die unbequemen Dinge Diese Woche war der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu Besuch in Berlin bei Bundeskanzlerin Angela Merkel. “Freundschaftstreffen” war die offizielle Bezeichnung, “Freundschaft” ist ein Wort, mit dem beide Regierungschefs ihr Verhältnis gern bezeichnen, und die Freundschaft zwischen Israel und Deutschland ist schon wegen der gemeinsamen Geschichte von ganz besonderer Bedeutung. Aber zu einer wirklich guten Freundschaft gehört auch, dass man den anderen kritisiert und die Kritik des anderen annimmt. Wir können uns selbst nie ganz verstehen, sagte Aristoteles, dazu brauchen wir die Menschen um uns herum, die unser Wesen widerspiegeln – vor allem unsere Freunde. Und das bedeutet eben auch, sich unbequeme Dinge sagen zu lassen. Darin ist die israelische Regierung allerdings nicht sehr geduldig. Sie behandelt andere, die ihr unbequeme Dinge sagen, als Gegner, nicht als Freunde. Und so hat Angela Merkel dies nun auch gar nicht versucht. Man konnte in Berlin gut beobachten, wie auf diese Weise Distanz in eine Freundschaft kommt. – Tobias Hürter

Na logisch! Der genetische Fehlschluss II: Der Ad-populum-Fehlschluss

Logik-Kolumne von Daniel-Pascal Zorn. Dieses Mal: Der genetische Fehlschluss II: Der Ad-populum-Fehlschluss Die heutige Kolumne beginnt mit einer Geschichte aus dem alten China, aus der Zeit der streitenden Reiche. Ein Minister des Reiches Wei, Pang Tsung, begleitete den Prinzen dieses Reiches in das nördliche Nachbarreich Zhao (die Kronprinzen wurden untereinander ausgetauscht, um den gegenseitigen Friedensvertrag zu garantieren). Weil der Minister um seine zukünftige Stellung besorgt war, stellte er auf dem Weg dem König ein paar Fragen. „Wenn ein Mann sagen würde, dass auf einem belebten Marktplatz ein Tiger ist, würdet Ihr ihm glauben?“ Der König verneinte. „Und wenn zwei Männer sagen würden, dass da ein Tiger ist?“ „Dann wäre ich immer noch skeptisch“, sagte der König. „Und wenn ein dritter Mann die Geschichte der beiden anderen bestätigen würde?“ Der König antwortete: „Dann würde ich ihnen glauben.“ Der Minister sagte: „Aber auf einem belebten Marktplatz, auf dem die Menschen ihren Geschäften nachgehen, ist offensichtlich kein Tiger – und doch erscheint es nach den drei Aussagen so, als wäre da ein Tiger. Nun ist die Hauptstadt weiter …

HOHE LUFTpost – Im Fegefeuer der Mathematik

HOHE LUFTpost vom 05.02.2016: Im Fegefeuer der Mathematik Denken Sie zurück an den Mathe-Unterricht in der Schule: Kam es manchmal vor, dass Sie nur Bahnhof verstanden haben? Dass der Sinn der Zeichen an der Tafel sich Ihnen einfach nicht erschließen wollte? Normalität für viele Schüler. Aber einige Weltklasse-Mathematiker machen diese Erfahrung derzeit zum ersten Mal. Ihr japanischer Kollege Shinichi Mochizuki, anerkanntermaßen einer der besten der Zunft, hat einen Beweis für einen berühmten Satz namens abc-Vermutung veröffentlicht – aber niemand sonst kapiert ihn. Die Koryphäen bemühen sich, zu verstehen, Mochizuki bemüht sich, zu erklären. Doch außer ihm hat bisher niemand auch nur die Grundidee seines Beweises durchschaut. Die Stars der Mathematik sitzen vor Mochizukis Beweis wie Schulkinder mit Mathephobie. So etwas gab es noch nie in der Mathematikgeschichte, und es wirft eine grundlegende Frage auf: Welchen Status hat die abc-Vermutung jetzt? Kann sie als wahr gelten, oder bleibt sie weiterhin offen? Keine der beiden Möglichkeiten stimmt ganz. Die abc-Vermutung ist der erste Satz im Fegefeuer der Mathematik, und dort wird sie wohl auch noch ein paar …

HOHE LUFTpost – Marvin Minsky ist tot – vorläufig

HOHE LUFTpost vom 29.01.16: Marvin Minsky ist tot – vorläufig Am 24. Januar starb Marvin Minsky, der große Pionier der Künstlichen Intelligenz, im Alter von 88 Jahren. »Er vereinte den Wissensdurst eines Forschers mit dem Wahrheitsstreben eines Philosophen«, schrieb die New York Times. In den 1950er Jahren, als Computer noch tumbe, sperrige Klötze waren, sah Minsky voraus, dass sie sich der menschlichen Intelligenz rapide annähern würden, und im Rückblick haben sich viele seiner Prognosen bewahrheitet. Weniger bekannt ist, dass Minsky auch die umgekehrte Annäherung prophezeite: dass Menschen sich unsterblich machen können, indem sie ihren Geist vom angespannten Gehirn auf Chips und Festplatten überspielen. Er war Extropianer, also überzeugt davon, dass wir Menschen in radikal anderer physikalischer Form leben können. Kurz vor seinem Tod unterschrieb er einen offenen Brief zur Kryonik: dem schonenden Einfrieren von Menschen kurz nach ihrem Tod, in der Hoffnung, sie mit Technologien der Zukunft wiederbeleben zu können. Gut möglich, dass Minskys Gehirn nun in einem Tiefkühlfach liegt. Man mag über so etwas den Kopf schütteln. Aber das taten die Spötter einst auch über …

HOHE LUFTpost – Warum Einstimmigkeit fast immer falsch ist

HOHE LUFTpost ist zurück aus der Winterpause! Heute: Warum Einstimmigkeit fast immer falsch ist (22.01.16) Willkommen im neuen Jahr! Beginnen wir es mit einer kontroversiellen Einsicht: Wenn zu viele Menschen einer Meinung sind, dann ist was faul! Ein Team australischer und französischer Forscher hat diese These nun auf überraschende Weise bestätigt: Sie ahmten den klassischen Test von Augenzeugen zur Identifizierung von Tatverdächtigen nach, mischten den Verdächtigen also in eine Reihe von unbeteiligten Komparsen, aus denen die Zeugen ihn rauspicken sollten. Waren sich die ersten drei Zeugen einig, so stieg die Wahrscheinlichkeit, dass sie richtig lagen. Dann aber sank die Wahrscheinlichkeit mit jedem Zeugen, der mit den vorigen übereinstimmte – bis sie ganz auf Zufallswahrscheinlichkeit herabgesunken war! Zu viel Einigkeit ist also verdächtig. Ein eindrucksvolles Argument für eine offene Gesellschaft, und für einen guten Vorsatz für dieses Jahr: Mehr Widerspruch! – Tobias Hürter

Na logisch! Die Übergriffe von Köln – Relativierung, Tu-quoque und der doppelte Standard

Die Logik- und Rhetorik-Kolumne von Daniel-Pascal Zorn. Heute: Die Übergriffe von Köln – Relativierung, Tu-quoque und der doppelte Standard Die Übergriffe der Silvesternacht in Köln haben eine breite gesellschaftliche Debatte entfacht. Wie jede Debatte ist sie aber nicht frei von argumentationslogischen Fallstricken. Hinzukommt, dass sie stark emotional und politisch aufgeladen ist, so dass jeder Kommentar dazu sich mittlerweile in einer Art diskursivem Minenfeld bewegt.

Wie man sich richtig entscheidet

Ja? Nein? Vielleicht? Ausgabe 2/16 ist da! Nie zuvor hatten wir mehr Möglichkeiten als heute – doch wie soll man angesichts dieses Überangebotes die richtige Wahl treffen? Was gutes Entscheiden ausmacht erfahren Sie in unserer neuen Titelgeschichte. Die Frankfurter Schule ist eine der einflussreichsten Theorieströmungen der Neuzeit und prägt den Diskurs in Philosophie und Soziologie bereits seit drei Generationen. Den Schwerpunkt widmen wir darum dieses Mal den kritischen Denkern in der Tradition von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Weitere Themen: Wie moralisch müssen Ethiker sein? Fünf Thesen zur Pubertät. Ein Lob des Stadtlebens. Die Rhetorik der Hassredner. Ansichten eines Geisteskranken. Und die Philosophin Mirjam Schaub im Gespräch über Radikalität und Popkultur. Wir wünschen viel Freude beim Lesen! Hier können Sie das neue Heft versandkostenfrei bestellen.

Na logisch! Der mereologische Fehlschluss

Logik-Kolumne von Daniel-Pascal Zorn. Heute: Der mereologische Fehlschluss Vor etwas mehr als zehn Jahren brachten einige Neurowissenschaftler die Fachwelt mit der Aussage zum Staunen, dass alles, was man bis dato dem ‚Menschen‘, dem ‚Subjekt‘ oder dem ‚Geist‘ zuzurechnen gewohnt war, eigentlich vom ‚Gehirn‘ als Akteur durchgeführt wurde. Es sei das Gehirn, das nachts um zehn noch ein Bier bestellt oder das sich an der bunten Vielfalt einer Blumenwiese erfreut. Das Gehirn würde handeln, wahrnehmen, fühlen, entscheiden – und manches davon sogar ohne unser Wissen.

Höcke und Heidegger

Björn Höcke erscheint gern als Politiker, der alles im Griff hat, der sich seiner strategischen Einsätze voll bewusst ist. Auf seine Wortwahl – „1000 Jahre Deutschland“ – angesprochen, erläutert er der Reporterin abgeklärt: „Der Politiker muss natürlich manchmal überspitzen, gerade wenn es um Demonstrationsreden geht.“ Der AfD-Politiker will als Stratege erscheinen, der seine Gegner intellektuell in die Tasche steckt.

HOHE LUFTpost – Gewalt und Religion

HOHE LUFTpost vom 20.11.2015: Gewalt und Religion Nach den schrecklichen Anschlägen von Paris kommt wieder eine Frage auf, die in letzter Zeit immer wieder diskutiert wurde: Fördert der Islam die Gewalt, die wir gerade erleben müssen? Die Antwort ist ein klares Nein. Der Islam fördert weder Gewalt noch Frieden – wie auch jede andere Religion nicht. Es hängt von den Menschen ab, was sie aus ihrer Religion machen. Menschen sind gewalttätig, nicht Religionen. In Myanmar töten buddhistische Mönche Frauen und Kinder. Der Warlord Joseph Kony zieht mit seiner 1987 gegründeten Terrormiliz durch Uganda, er will einen christlichen Gottesstaat errichten. Seine Lord’s Resistance Army hat ungezählte Morde begangen, geschätzte 66000 Kinder entführt und zu Kindersoldaten gemacht. Fördern also Buddhismus und Christentum die Gewalt? Nein. Sie werden dazu instrumentalisiert. Wer behauptet, der Islam fördere Gewalt, lässt sich auf ein Spiel ein, das IS & Co. begonnen haben. Der IS ist es nämlich, der behauptet, der Islam sei »die Religion des Schwerts, nicht des Pazifismus« (zitiert aus einer IS-Veröffentlichung). Auf diese Weise wollen Verbrecher ihre Untaten legitimieren. Wir …