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Richtig streiten #10: Warum streiten wir überhaupt?

Nachdem es in der letzten Folge dieser Serie darum ging, plausibel zu machen, dass Meinungen im Streit zumeist nicht als Behauptungen zu verstehen sind, denen sich die anderen Streitenden zwingen anschließen müssten, bleibt die Frage, was es denn sonst mit diesen Meinungsäußerungen auf sich hat. Wenn wir unsere Meinungen zumeist gar nicht äußern, um andere davon zu überzeugen, warum äußern wir sie dann? Warum streiten wir überhaupt?

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Die große Täuschung

Robert Habeck, Bundesvorsitzender der Grünen, zieht sich aus Facebook und Twitter zurück. Er will dort nicht mehr posten, keine politischen Statements, keine Aufrufe zur Wahl, keine Hinweise auf Fernsehsendungen und Interviews und auch keine kleinen Einblicke in die private Welt. Das wir nun von vielen Seiten kritisch kommentiert: Als Politiker, so heißt es, muss man heute unbedingt in den Sozialen Medien präsent sein, man soll nicht nur posten, sondern natürlich auch die Kommentare lesen, die man als Reaktionen erhält. Dort, bei Facebook und Twitter, spricht heute das Volk, da kann man herausfinden, was die Leute, die Wähler denken. Diesen Eindruck bekommt man auch, wenn man andere Medien verfolgt. Im Radio erzählen die Moderatoren, was die Leute gerade twittern und posten, die Hörer werden aufgefordert, ihre Meinung zum Programm per Facebook-Posting zu teilen, und gleich darauf werden die ersten Reaktionen verlesen. Alle scheinen bei Facebook zu sein, jeder scheint zu twittern. Die Öffentlichkeit, die Kneipe, der Marktplatz, so scheint es, ist heute die Social-Media-Welt.

Richtig streiten #6: Der Beweggrund der Meinungsäußerung

Wir hatten bisher gesehen, dass eine Meinungsäußerung im politischen Meinungsstreit niemals eine bloße Tatsachenbehauptung ist, sondern dass sie immer durch ein persönliches Interesse des Sprechenden moduliert ist. Das gilt auch, wenn die Aussage für sich genommen wie ein Aussagesatz klingt, etwa, wenn Alice sagt: „Trump wird die nächste Wahl auch gewinnen!“ oder wenn Bob äußert „In den Medien herrschen überhaupt keine Qualitätsstandards mehr!“. Im Falle von Alice ist noch klar, dass es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt, da ihr Satz die Zukunft betrifft. Allerdings könnte man auch hier vermuten, dass es sich um eine sachliche Hypothese handelt, die nicht durch persönliche Modulation eine Angst, Hoffnung oder Sorge ausdrücken soll. Bobs Satz, für sich genommen, hat allerdings die Form einer einfachen Tatsachenbehauptung. Trotzdem wird es sich in einer Diskussion unter Freunden nur sehr selten um eine sachliche Hypothese handeln. Vielmehr darf man vermuten, dass Alice und Bob davon überzeugt sind, dass die anderen die jeweilige Modulation kennen. Wenn Alice äußert, dass Trump auch die nächste Wahl gewinnen wird, ist sie sicher, dass die anderen wissen, …

Die Fiktion der Wahrheit

Das, was vor wenigen Tagen über die Fälschungen von Reportagen beim Spiegel ans Licht gekommen ist, wirft Fragen nach der Wahrheit von Werken mit realem Bezug überhaupt auf. Die Frage, wann eine Reportage etwas Wahres erzählt, kann Anlass sein, über die Wahrheit von Geschichten überhaupt nachzudenken. Wann ist eine Geschichte wahr? Wann ist eine Geschichte Fiktion, wann sind fiktionale Geschichten wahr und was macht vielleicht sogar eine wahre Geschichte zur Fiktion? Ist es am Ende überhaupt eine Fiktion, dass wahre Geschichten die Wahrheit erzählen und unwahre Geschichten eben nicht? Es wäre unzureichend, wenn wir jetzt nur über den Extremfall des Betrügers diskutieren, der womöglich Personen und Ereignisse ohne jede Verbindung zu Tatsachen frei erfunden und als Ergebnis von Recherchen ausgegeben hat. Das soll aufgeklärt und berichtet werden, und Redaktionen sollen darüber nachdenken, wie sie solchen Betrug zukünftig verhindern können. In diesem Text geht es nicht um den Fall Relotius, schon gar nicht soll das Handeln dieses Mannes gerechtfertigt oder relativiert werden. Es geht um das Verhältnis von Wahrheit und Fiktion, das sozusagen die Bedingung der …

Richtig streiten #5: Die Kontinuität des Begründens

Zur Logik, zum vernünftigen Sprechen, gehört, dass man bereit ist, Gründe für seine Aussagen anzugeben. Diese Gründe müssen aber wenigstens so sein, dass man vermuten kann, dass der andere sie als Begründung akzeptiert. Wer wahrhaftig ist, muss auch nachsichtig sein: Er weiß, dass es zwischen Begründung und Aussage oft eine Lücke gibt, die aus Gemeinsamkeiten der Diskussionsteilnehmer erst geschlossen werden muss. Zudem wird er vermuten, dass alle Äußerungen des Gesprächspartners – sowohl die Meinungen als auch die Begründungen – sinnvoll verstanden werden können, auch wenn sie mit der eigenen Sprachpraxis nicht zusammenpassen. Ein wahrhafter und nachsichtiger Streit wird nicht mit dem Ziel geführt, die Sprachpraxis des anderen zu korrigieren, sondern den Sinn seiner Äußerungen zu verstehen und die Lücken zwischen seinen Begründungen und den geäußerten Meinungen zu schließen. Eine notwendige Gemeinsamkeit ist, dass eine gemeinsame Vorstellung davon existiert, wie es zu Ereignissen in der Wirklichkeit kommen kann, welche Gründe als Begründungen für Meinungen  dienen können.