Alle Artikel in: Aktuell

Im Alten Griechenland #2: Eine lakonische Aufforderung

In Sparta traf ich einen weisen Mann, der auch nicht viel gesprächiger war als Thales. Er hieß Chilon. Die Einsilbigkeit war in diesem Landstrich, der Lakonien genannt wurde, typisch. Die Leute lebten spartanisch und gaben lakonische Auskünfte. Chilon war einer von ihnen und er sagte nicht viel. Also ich ihn fragte, was ich tun sollte, um ein weiser Mensch zu werden und die Welt zu verstehen, antwortete er nur: Γνῶθι σαυτόν – Gnothi sauton! Auch wenn Chilon einen anderen Dialekt als Thales sprach, brauchte ich gar nicht ins Wörterbuch zu schauen, um ihn zu verstehen. Γνῶθι gehört auch zum Verb γιγνώσκω (gignósko), das mich schon seit meinem Treffen mit Thales beschäftigte. „Verstehe oder erkenne dich selbst!“, „Lerne dich selbst kennen!“ – das war der Rat des weisen Chilon. Also genau das, was Thales als das Schwierigste bezeichnet hatte, sollte die Aufgabe sein? So sehr ich überlegte, ich kam immer wieder zu dem Ergebnis, dass es eigentlich doch das Einfachste sein müsste, sich selbst kennenzulernen. Schließlich habe ich zu mir selbst den besten Zugang, ich kann …

HOHE LUFT kompakt – Der Wert der Kunst

Zwischen Design und Technologie Die Kunst ist so präsent wie nie zuvor. Im neuen Sonderheft »HOHE LUFT kompakt« (erscheint am 29. Mai 2019) widmen wir uns der Frage nach ihrem Wert. Heute, da die Grenzen zwischen Kunst, Design und Technologie zunehmend verschwimmen, geht der ästhetische Wert von Kunstwerken nicht mehr einfach so aus einem bestimmten Kanon hervor. Philosophie kann dabei helfen, subjektive ästhetische Erfahrungen zu reflektieren und zu verstehen, was Kunst heute eigentlich ist und soll. Auch die Künstler selbst kommen zu Wort – im Schwerpunkt zum Thema Kunst in München. Wir stellen etablierte wie aufstrebende Protagonisten der Kunstszene vor und treten mit ihnen in einen philosophischen Dialog. Themen im neuen Sonderheft sind unter anderem außerdem: Was ist schön? Kultur als Marke Kunst und Kapitalismus Geschmack Ästhetisches Erleben Wann ist Kunst? Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre! Hier können Sie das neue Sonderheft versandkostenfrei bestellen.

Das Wrack des Unglaublichen

Was hat Kunst mit alternativen Fakten zu tun? Mittlerweile vieles. Der Künstler Damien Hirst liefert den Beweis. Im Jahr 2008 fand man auf dem Grund des Indischen Ozeans ein riesiges Schiff voller Schätze, das »Wrack des Unglaublichen« (»Apistos«). In seinem Inneren: 100 Statuen und Torsi von Pharaonen, Göttinnen und Dämonen, Masken und andere, teils mit Korallen, Algen und Seewürmern bedeckte Objekte aus Afrika, China, Griechenland, Indien – alles Besitztümer des ehemaligen Sklaven Cif Amotan II, der nach seiner Freilassung zu großem Reichtum gelangt war. Die Bergung dieser einzigartigen Sammlung nahm fast zehn Jahre in Anspruch und wurde von dem schwerreichen Künstler Damien Hirst mitfinanziert. Zu bestaunen waren die Schätze im Frühjahr 2017 auf der Biennale in Venedig, verteilt über zwei Museen, die dem Unternehmer, Multimilliardär und Kunstsammler François Pinault gehören. Im Atrium des Palazzo Grassi wird man von einem über 18 Meter hohen mesopotamischen Dämon begrüßt, der Kopie einer kleineren Bronze, die man auf dem Schiff fand. Eine Unterwasser-Videodokumentation zeigt die aufwendigen Bergungsarbeiten. Man schreitet durch die Säle voller Kostbarkeiten aus Bronze, Jade, Achat, Carrara-Marmor …

Alice und Bob #2: Im Nebel

Alice und Bob joggten am Strand entlang und Bob sann noch ihrem letzten Gespräch über die Natur nach. Er sagte sich, dass dieser Strand und das Meer, wie sie waren, ganz sicher zur Natur zählten, denn auch sie waren ja im Laufe der Zeit so geworden, wie sie jetzt waren, ganz ohne (oder wenigstens fast ohne) Zutun der Menschen. Plötzlich wurde es neblig, der Nebel war wohl unmerklich vom Wasser aufgestiegen und waberte nun über das Land. Bob griff nach Alices Hand: „Ich sehe nichts!“. Spöttisch zog Alice ihre Hand zurück: „Du siehst noch den Sand zu deinen Füßen, und da, die Wellen siehst du auch noch. Sand und Wellen sind nicht Nichts.“ Bob ahnte schon, was kommen würde, trotzdem wandte er ein: „Ja, ich sehe noch ein bisschen vom Strand und vom Wasser, aber wenn ich weiter schaue, dann sehe ich sonst – Nichts!“ Alice lachte: „So so, du siehst also das Nichts. Wie sieht es denn aus, das Nichts?“ Bob hatte keine Lust auf philosophische Spitzfindigkeiten: „Ich rede nicht von ‚dem Nichts‘ – …

Müssen wir Europa wollen?

Europa ist uns zur Gewohnheit geworden. Setzen wir die Idee der Gemeinschaft deshalb aufs Spiel? Haben wir überhaupt begriffen, was die EU bedeutet? Wir sind Europäer. Wir kaufen italienischen Parmesan, lieben französischen Bordeaux und fahren mal schnell über die Grenze nach Österreich. Wir zahlen in Euro. Unsere Fliesenleger kommen aus Polen. Wir studieren für sechs Semester in Venedig, arbeiten in Luxemburg oder sparen, um unseren Kindern ein Schuljahr an einer guten britischen Lehranstalt zu finanzieren. Europa ist selbstverständlich. Aber was ist Europa? Europa – das war in der griechischen Mythologie eine Königstocher, die vom Gott Zeus entführt und vernascht wurde. Europa – das ist ein Kontinent. Europa – das ist aber auch eine Idee, die nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs geboren wurde. Die Idee, dass es bei uns nie wieder Krieg geben darf. Es ist die Vorstellung, dass es möglich ist, unter­schiedliche, teils widersprüchliche nationale Identitäten und In­teressen demokratisch zu einen. Wenn wir von Europa ­sprechen, meinen wir auch die Europäische Union: 27 unterschiedliche Sichtweisen, zwischen denen in Brüssel in nächtelangen Sitzungen vermittelt werden …

Im Alten Griechenland #1: Das Schwierige

In seiner Kolumne »Im Alten Griechenland« streift Jörg Phil Friedrich durch die Denkwelt der alten Meister. Im ersten Teil trifft er auf Thales und fragt ihn: Was ist das Schwierigste? Ich hatte mich auf eine lange Reise begeben. Mein Ziel war der Anfang, die Quelle des Stroms, von dem wir uns heute noch ernähren. Die Gegend, die ich erkunden wollte, deren Bewohner ich kennenlernen wollte, lag ganz im fremden Inneren unserer Welt, die Reise war zugleich eine Wanderung auf höchste Berge wie sie eine Erkundung tiefster Erdschichten war. Die Leute, die ich treffen wollte, sprachen eine fremde Sprache, auch wenn mir viele Worte, die sie hatten, vertraut vorkamen, wusste ich doch, dass ich den Bedeutungen, die ich kannte, nicht trauen konnte. Zwar gab es viele freundliche Dolmetscher, aber ich hielt es für klug, mir ein paar dicke Wörterbücher einzupacken, mit deren Hilfe ich den Sinn dessen erkunden wollte, was mir die Weisesten der Leute dort, wie ich hoffte, anvertrauen würden. Ohne Halt hatte ich fast bis ganz in den innersten und ältesten Bezirk dieses Landes …

Alice und Bob #1: In die Natur

Was ist die Natur? Und wodurch unterscheidet sie sich von der Wildnis? Jörg Phil Friedrich nähert sich in seiner neuen Kolumne großen philosophischen Themen und Begriffen durch die Erlebnisse zweier Hauptfiguren: Alice und Bob. „Lass uns hinaus in die Natur fahren!“ hatte Bob am Morgen vorgeschlagen. Alice war skeptisch: „Wo soll denn das sein?“ fragte sie. Bob, der auf schwierige Fragen beim Frühstück noch keine Lust hatte, antwortete einfach: „Lass dich überraschen!“ Nun radelten sie über schmale Straßen durch Felder und Wälder, Bob genoss die Luft und den Anblick der Bäume und Pflanzen. An einer Bank, die am Wegesrand stand, machten sie Rast. Bob wollte wissen, wie Alice die Landschaft gefiel. „Ganz schön“ antwortete diese, dann fragte sie mit spöttischem Lächeln: „… und wann kommt die Natur?“ Bob hoffte noch, der philosophischen Diskussion entgehen zu können: „Schau dich um, die Wälder, die Bäume, das alles ist doch Natur!“ Natürlich ließ Alice nicht locker: „Natur? Das ist doch alles künstlich angelegt, der Wald ist ein Forst, die Bäume sind gezüchtet, die Felder sind auf hohen Ertrag …

Wer rettet den Helden? Ausgabe 4/19 ist da

Als Kind finden wir Helden und ihre Geschichten meistens toll. Doch heute steckt das Heldentum in der Krise. Helden haben – historisch ausnahmslos Männer – ein schlechtes Image. Niemand braucht mehr solche Kraftkerle, die sich selbst und anderen andauernd etwas beweisen müssen. Dennoch brauchen wir immer noch Menschen, die mutig Entscheidungen treffen, die andere beschützen und für eine gerechte Sache ein­ treten. Der Held braucht also eine General­überholung! In unserem neuen Titelessay werfen wir einen Blick auf die mythologischen Ursprünge des Helden und seine aktu­elle Lage – und fragen, was vom tradierten Heroismus übrig geblieben ist. Spätestens seit der #MeToo-Debatte ist der Feminismus aus der öffentlichen Debatte nicht mehr wegzudenken. Im Schwerpunkt des neuen Hefts machen wir eine eine kritische Bestandsaufnahme und stellen vier Thesen zum modernen Feminismus auf. Weitere Themen: Das Gute am Nützlichen. Die Seele der Natur. Arthur Schopenhauer und seine Welt. Ist die Kultur am Ende? Warum nichts Neues passiert. Deutsche Comedy: Gute-Laune-Populismus? Und im großen Interview sprechen wir mit dem US-Politikwissenschaftler Francis Fukuyama über seine Kritik an linker und rechter Identitätspolitik …

Die Deutschen und ihr Auto

Dieses Land hat ein romantisches und imperiales Verhältnis zum Fahren. Dem gehorchen sowohl Kfz-Besitzer wie auch die Industrie. Bloß bringt das niemanden in die Zukunft. Warum die Deutschen das Auto loswerden sollten. Den ganzen Essay von HOHE LUFT-Chefredakteur Thomas Vašek finden Sie hier auf ZEIT online: https://www.zeit.de/kultur/2019-04/deutsche-autofahrer-autobranche-bedeutung-symbol